Luftverschmutzung in China: So schlimm ist es wirklich vor Ort

mann träägt atemschutzmaske in china luftverschmutzung

Das die Luftqualität in China unter unzähligen Fabriken und halbherzig umgesetzten Naturschutzmaßnahmen leidet, ist wahrscheinlich jedem bekannt. Doch wie fühlen sich diese Probleme wirklich an und wie wird dieser Themenkomplex in China bekämpft?

Ein alternatives Berechnungssystem, Zensur, Korruption und dennoch große Ziele und Erfolge sollen Thema dieser Kolumne sein.

Momentane Daten der wichtigsten Großstädte und Regionen findet im folgenden Link oder am Endes Artikels.

Übersicht momentaner Luftverschmutzung in China

Luftqualitätsindex: 190 (Ungesund)
Luftqualitätsindex: 84 (Mäßig)

Wie wird Luftverschmutzung gemessen?

Um den Air Quality Index (AQI, Luftqualitätsindex) zu ermitteln messen unabhängige Messstationen die Beschaffenheit der Luft. Die Ergebnisse werden zu einem Mittelwert zusammengefasst, um so den Wert für eine Region zu bestimmen.

Folgende Partikel werden in den meisten Systemen gemessen und ergeben den Luftqualitätsindex, welcher umgangssprachlichen als Sammelbegriff Smog bei hohen Emissionswerten bekannt ist:

In Europa werden PM2.5 und PM10 unter den Feinstaub-Richtlinien zusammengefasst. Überschreitungen dürfen 50 µg/mnicht an mehr als 35 Tagen im Jahr überschreiten, um Sanktionen zu vermeiden.

In China und den USA, verhält sich die Berechnung etwas anders, denn PM2.5 ist der Zentrale Wert, um den Luftqualitätsindex zu berechnen. Dieser ist auch ausschlaggebend für die Werte, die auf dieser Seite angegeben werden. Es wird das Amerikanische System angewendet und nicht die chinesischen Richtwerte genommen, denn diese unterscheiden sich deutlich vom Rest der Welt.

Messstation in Shenzhen. Realwert lag bei 171 (Ungesund). Wie kann das sein?

Eine Welt, viele Systeme: Chinas höhere Grundwerte

Wie bereits erwähnt, sind die Richtwerte in China anders. Die Grenzwerte in China wurden angehoben, um Luftverschmutzung, vor allem in den Bereichen des AQI zwischen 100-200 zu beschönigen. So verbessert sich der Luftqualitätsindex um rund 25-40% in den meisten Regionen.

Folgende Tabelle soll den Unterschied zwischen den Amerikanischem System, welches von aqicn.com (siehe Grafiken) verwendet wird, und dem aus China veranschaulichen (anhand des PM2.5-Wertes):

Amerikanisches System

AQI Wert
Bewertung
PM2.5 μm/m3
0-50
Gut
0-12
51-100
Mäßig
12-35
101-150
Ungesund (für empfindliche Gruppen)
35-55
151-200
Ungesund
55-150
201-300
Sehr Ungesund
150-250
301-500+
Gesundheitsgefährdent
250-500+

Chinesisches System

AQI Wert
Bewertung
PM2.5 μm/m3
0-35
Exzellent
0-35
51-100
Gut
35-75
101-150
Leicht Verschmutzt
75-115
151-200
Mäßig Verschmutzt
115-150
201-300
Schwer Verschmutzt
150-250
301-500+
Schwer Verschmutzt
250-500+

Natürlich unterscheidet sich die Zusammensetzung der Verunreinigungen beider Länder deutlich. Auch regionale Unterschiede werden hier nicht direkt beachtet. Es wird jedoch deutlich, dass das chinesische System deutlich tolerantere Grenzwerte bei „leichter“ Verschmutzung bietet und so trotz Verschmutzung immer noch den Wert „Gut“ ausgibt. In den höheren Regionen wird allerdings gleich berechnet und nur semantische Unterschiede sind feststellbar, die die Situation im chinesischen System weniger gefährlich wirken lassen.

Sichtbarkeit eingeschränkt! Bereits ab AQI-Werten von rund 100+ ist die Sicht deutlich eingeschränkt.

Besonders deutlich wird dies in diversen Apps und Webseiten in China. Wetter Apps sind auf den meisten Smartphones vorinstalliert oder befinden sich gar als Widget auf dem Home-Screen. Hier ein Vergleich aus den letzten Tagen in Shenzhen zwischen einem Xiaomi-Smartphone und den Werten von aqicn.org:

AQI Wert 98 laut Xiaomi Wetter-App
Wert 187 laut AQICN.org internationalen Standards

Die europäischen Standards, wie bereits angedeutet, sind noch strenger und erlauben keine Werte über einem PM2.5-Anteil von 150.

Erstaunlich ist hier auch, wie viele Chinesen diese Unterschiede nicht kennen. Schlimmer noch ist es, wenn die Luftverschmutzung als einfacher „Nebel“ identifiziert wird. Den meisten gebildeten Bürgern und vor allem Familien ist allerdings klar, dass die Luftverschmutzung Konsequenzen hat.

Zum Vergleich hier die aktuellen Werte in Großstädten Europas, um sich ein Bild davon zu machen, wie gravierend die Unterschiede zwischen Europa und China wirklich sind.

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Problematisch ist aber nicht nur die Luftqualität und die darauffolgende Einschränkung für die Bürger Chinas, sondern auch der Umgang mit Kritik, Umweltschützern und Informationen für die breite Masse.

Zensur und Korruption: Gründe für schlechte Luft?

Das die chinesische Regierung „zum Schutz“ der sozialistischen Werte zum Zensor wird ist allseits bekannt. Auch das Thema Luftverschmutzung, obwohl jedem Bürger (meist sichtbar) bekannt, ist hier nicht ausgeschlossen.

Ein prominenter Fall ist die sehr empfehlenswerte Umwelt-Reportage Under The Dome der ehemaligen CCTV Reporterin Chai Jing (柴静) aus dem Jahre 2015. Die selbstfinanzierte Dokumentation wurde in Kooperation mit Chinas Staatszeitung People’s Daily und Alibaba Streaming-Plattform Youku herausgegeben. Sie zeigt die negativen Einflüsse der Feinstaubbelastung in China und beschäftigt sich vor allem mit ärmeren und schwerer belasteten Regionen wie Shanxi oder Hebei. Über 200 Millionen Mal wurde der Film in China angesehen bevor er von Beijing zensiert wurde. Das erhoffte Echo, dass normale Bürger zu Umweltschutzaktivisten werden, bliebt somit aus.

Die vollständige Reportage (mit Untertiteln) ist auf YouTube erhältlich und viele der Themen sind immer noch aktuell im China 2019.

Trotz Zensur erfanden Netizen die Phrase Chai Jing Blau (柴静蓝, Chái Jìng lán) in Ehren der Reporterin. Diese wird vor allem genutzt, wenn wichtige Regierungssitzungen oder internationale Events anstehen, denn zu diesen Events ist der Himmel, egal wo sich die wichtigsten Größen der Politelite treffen, immer Blau und nicht verschmutzt. Zur restlichen Zeit des Jahres herrscht allerdings wieder große Belastung durch Smog vor.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die Olympiade 2008 in Beijing, bei der das Wetter mit Raketen modifiziert wurde, um Regen hervorzurufen. Dieser sorgte dann dafür, dass die übrigen Feinstoffe in der Luft gebunden wurden und strahlend blauer Himmel vorherrschte.

Anekdote: Besuchten wichtige Regierungsmitglieder eine Stadt, werden Baumaßnahmen und besonders belastende Fabriken gestoppt – es wird sich von der besten Seite gezeigt.

Schwer haben es auch Journalisten und NGOs (regierungsunabhängige Organisationen), denn es kann nicht frei publiziert werden. Ob Demokratieaktivist, Menschenrechtler oder Umweltschützer, alle Artikel und Reportagen werden vor der Veröffentlichung geprüft und bewertet. Ebenfalls ist es nicht ungewöhnlich, dass Aktivisten tagtäglich vom Staat überwacht werden.

Dies bedeutet aber keineswegs, das alle kritischen Artikel und Kommentare auf Social Media Kanälen wie Weibo oder Douban gelöscht und zensiert werden.

Eine besonders bizarre Methode ist „zum Tourist gemacht werden“ (被旅游, Bèi lǚyóu). Zu besonders kritischen Events oder vor historischen Ereignissen, die nicht öffentlich diskutiert werden dürfen, werden Aktivisten mit Begleitung und unter stetiger Beobachtung in den Zwangsurlaub geschickt, um keinen Ärger zu verursachen.

Das bedeutet allerdings nicht, dass Umweltschützer keine Erfolge feiern konnten. Die gestoppten Damm-Projekte Nu River und Tiger Leaping Gorge sind einer von vielen Fällen, in denen Umweltschützer und Reporter Politiker dazu gebracht haben Projekte zu stoppen. Auch unzählige Maßnahmen wurden ergriffen, um gerodete Wälder wiederherzustellen. Es wird viel getan und viele Chinesen setzen sich aktiv oder würden sich gerne aktiv für den Umweltschutz einsetzen.

Über die Umweltverschmutzung eines Xiaomi Partners, welche ebenfalls durch eine NGO ans Licht gebracht wurde, berichteten wir bereits im letzten Jahr.

Jedoch ist es schwer in China wirklich effektiv zu recherchieren, denn es mangelt an Transparenz und Kooperation des öffentlichen und privaten Sektors. Auch aus notwendigem Selbstschutz wird nur selten mit Journalisten zusammengearbeitet.

Mangelnde Transparenz und Korruption

Obwohl im letzten Jahrzehnt weit über 100.000 Regierungsmitglieder der Korruption schuldig gesprochen wurden, ist das Problem noch immer von großer Bedeutung. Um Profite zu erhöhen ist es einfacher die lokalen Politiker mit Geldgeschenken zu bezirzen, statt die eigene (meist verschuldete) Fabrik zu modernisieren.

Auch das Fälschen von Berichten ist für viele Unternehmen Norm, um weitere Subventionen von der Regierung zu erhalten. Der große Impfstoff-Skandal des letzten Jahres rund um Changsheng Biotechnology Co. ltd. bei dem rund 500.000 unwirksame Impfungen verkauft wurden, obwohl diese von staatlichen Unternehmen „geprüft“ wurden, ist nur eines der prominentesten Beispiele dieser Misere.

Chinas Korruptions-Index gleichauf mit Indien. Deutschland bei 81 Punkten (Quelle: Tradingeconomics.com)

Da es kein nicht-staatliches Überprüfungsorgan gibt, welches für Transparenz sorgen könnte, wird dieses Problem in naher Zukunft nicht behoben werden können. Das 40% des Bruttoinlandsprodukt von staatlichen Unternehmen (SOE, State Owned Enterprise) erzielt werden, obwohl diese mit rund 15.000 Unternehmen nur einen Bruchteil der Unternehmenslandschaft in China ausmachen, kann ebenfalls nichts Gutes für Transparentes Handeln bedeuten.

China ist allerdings nicht allein mit diesem Problem. Auch in Deutschland mangelt es oft an Transparenz privatgeführter Unternehmen, aber durch eine freiere Medienlandschaft ist das Klima ein deutlich anderes.

Welche Maßnahmen wurden ergriffen?

Beijing weiß natürlich, dass es unabdingbar ist Emissionen zu senken und die Luftqualität für alle Bürger zu verbessern. Auch offiziell verkündete Ministerpräsident Li Keqiang (李克强) bereits 2014 den „Krieg gegen Umweltverschmutzung“ und die oft in Beijing anhaltende „Airpocalypse“ an.

Das Ziel ist klar: Bis 2020 sollen 80% der Städte gute Luft haben und der PM2.5-Gehalt soll auf durchschnittlich 35 gesenkt werden – natürlich nach eigener Rechnungsweise.

Seitdem hat sich auch einiges zum positiven verändert. Ende 2017 wurden fast 40% der Fabriken in China inspiziert und rund 80.000 anschließend mit Geldstrafen und Anzeigen bestraft. Wie viele und ob wirklich Fabriken endgültig geschlossen wurden, bleibt offen.

Laut einer gemeinsamen Studie amerikanischer und chinesischer Universitäten soll sich die Lebenszeit in den am schlimmsten verschmutzen Regionen um mehrere Jahre verlängert haben.

Auch innerhalb der Regierung wurde im 1. Quartal 2018 stark umgebaut. Das Ministerium für Ökologie und Umwelt übernimmt die wichtigsten Umweltaufgaben des NDRC (National Development & Reform Commission) und erhält somit größeren Einfluss.

Präsident Xi Jinping selbst sagte zu diesem Anlass, dass Umweltsünder mit „eiserner Hand bestraft“ werden sollen. In 2018 wurden 6,4$ Milliarden für den Kampf gegen die schlechten Verhältnisse ausgegeben.

Mindestens 50% der in China ansässigen NGOs (Non-governmental organization) bestätigen, dass sie regelmäßig von der Regierung beauftragt werden und an Wettbewerben für Fördergelder teilnehmen. Spendengelder selbst sind leider rar.

[bs-quote quote=“In China ist es einfacher Geld zu verdienen, als es zu Spenden.“ style=“style-19″ align=“center“ author_name=“Jack Ma“][/bs-quote]

Auch bei Erneuerbaren-Energien ist China allen anderen Ländern meilenweit voraus. Rund 25% des gesamten Strombedarfes könnten über erneuerbare Energie bezogen werden – doppelt so viel wie in Europa. Besonders bekannt sind die Formen, die sich Betreiber der Solaranlagen im Westen Chinas ausdenken.

Pandas gegen schlechte Luft. Diese Solaranlagen sind gigantisch. Leider ist der Transport des Stromes weltweit (noch) nicht verlustfrei.

Auch wurden seit den großen Reformen Jahr für Jahr Erfolge gefeiert. Die gesetzten Ziele jedes Quartals wurden stets erreicht und oft übertroffen. Selbiges gilt allerdings auch für sämtliche andere Statistiken in China und so gibt es immer Zweifel, ob diese wirklich glaubhaft sind.

Leider werden allerdings immer noch Kohlekraftwerke gebaut, so eine Analyse von Coalswarm, dessen Kapazität zusammen allein die der USA übersteigt. Es wird hier also noch viele News geben, da hier die eigenen Regeln nicht eingehalten werden.

Fun Fact! In Shenzhen lebe ich in Reichweite von bald 26 Atomreaktoren.

Überkapazität ist ebenfalls eine problematische Angelegenheit, die bei einem so großen Land und einem stetig steigendem Strombedarf (10% in 2017), adressiert werden muss.

Insgesamt ist verdammt viel passiert während China immer mehr ins Rampenlicht rückt. Die Verhältnisse sind allerdings alles andere als gut oder langfristig zumutbar. Besonders sensible Gruppen und Kinder leiden unter dem vorherrschenden Smog.

Vergleicht man China nun mit Indien wird erst klar, wie viel in China geleistet wurde. Ehemals für die schlechteste Luft weltweit bekannt, stellt Indien nun die Top 10 der meist verpesteten Städte.

Momentane Luftverschmutzung in Chinas Großstädten

Hier eine Übersicht der größten Städte in China und ihre momentane Luftverschmutzung. Zum Vergleich habe ich noch Berlin hinzugefügt, um zu verstehen, wie groß die Unterschiede wirklich sind. Teilt uns eure Meinung mit, ob ihr in „solchen Verhältnissen“ leben würdet oder bereits Erfahrung mit schlechter Luft gemacht habt?














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