Endlich! Xiaomi hat die Umweltprobleme zugegeben. Im offiziellen (621 Seiten langen) Dokument für das chinesische Börsenamt wurden die Probleme angesprochen. Angeblich sollen diese nun beseitigt sein, aber Umweltschützer betonen weiterhin, dass dies nicht geschehen sei und Xiaomi endlich Verantwortung übernehmen muss.
Der offizielle Börsengang in Hong Kong scheint durch diese News nicht gefährdet zu sein, denn es wurden bereits mehrere Milliarden US-Dollar im Vorverkauf eingesammelt.
Seit dem einreichen der nötigen Papiere für den Börsengang in Hong Kong befindet sich Xiaomi regelrecht im Kreuzfeuer. Ein Bericht verschiedener NGOs in China beschuldigt nun das Unternehmen aus Beijing, sich nicht an die Richtlinien für eine IPO zu halten.
Xiaomi soll wichtige Informationen, die ihre negativen Auswirkungen auf die Umwelt bestätigen, verschwiegen und verschleiert haben.
Bereits im letzten Jahr wurde klar, dass chinesische Smartphonehersteller den Umweltschutz nicht so ernst nehmen. Xiaomi erreichte den letzten Platz neben Oppo und Vivo. Solange der Marktanteil steigt, ist doch alles in Ordnung, oder?
Dreckige Supply Chain und mangelnde Kommunikation
Seit 2015, welches einen großen Durchbruch für Xiaomi bedeutet, versuchen Umweltschutzorganisationen mit dem Hersteller der günstigen Smartphones Kontakt aufzunehmen. Ein Artikel der Organisationen, der den passenden Titel (mit dem damaligen Lei Jun Meme) „Xiaomi, are you okay?“ trägt, zeigt, dass Xiaomi schon vor Jahren eine Kooperation verweigert hat.
Ebenfalls nannte der Artikel von Blue Map (蔚蓝地图) vor Jahren bereits mehrere Xiaomi Partner und Umweltsünder, die bis heute mit dem Unternehmen zusammenarbeiten. Lustigerweise veröffentlichte Xiaomi genau zu dieser Zeit den eigenen Luftreiniger – ironisch, oder?
Laut dem chinesischen IPE-Index (Institute of Public & Environmental Affairs) belegt Xiaomi seit Gründung den letzten Platz mit 0 Punkten.
Übrigens, seit Jahren steht Apple an erster Stelle des Rankings. Huawei ist mit Rank 19 momentan der erste chinesische Smartphonehersteller im Ranking. Auch andere chinesische Unternehmen verbessern die Kooperation mit den Organisationen stetig und widmen sich, wenn natürlich primär aus langfristigem finanziellem Interessen, mehr Transparenz und einer grüneren Supply Chain.
Bis zum heutigen Tag gibt es von Xiaomi absolut keine Rückmeldung auf Anfragen der Umweltschutzorganisationen und es wird immer darauf verwiesen, dass Xiaomi ähnliche Prozesse wie Apple, Samsung oder Dell nutzt und Produkte nicht in eigenen Fabriken herstellt oder montiert.
Es scheint, als wäre die Marke sich keiner Schuld bewusst und sieht es als Aufgabe der Partner an, für eine grüne und nachhaltige Produktion zu sorgen. Auf der offiziellen Webseite mi.com wird kein Passus zu diesem Thema angeboten.
Aktivisten decken Xiaomis Umweltsünden auf
Vor rund einer Woche wurde ein gemeinsamer Bericht von IPE und Green Jiangnan (绿色江南) veröffentlicht, der Xiaomi beschuldigt, die Probleme in der eigenen Supply Chain zu verschleiern bzw. zu ignorieren. Da einige Probleme, die der Artikel aufdeckt, nicht in den eingereichten Papieren aufgeführt wurden, verstößt Xiaomi laut Umweltschutzorganisationen gegen die Auflagen und Richtlinien für einen Börsengang in Hong Kong (Richtlinien im Original).
Um diese Anschuldigungen zu bestätigen besuchten die Aktivisten das Unternehmen Yijia Electronics Co., Ltd. (毅嘉电子(苏州)有限公司) in Suzhou bei Shanghai, welches seit 2013 mit Xiaomi zusammenarbeitet. Selbiges Unternehmen wurde bereits im März diesen Jahres mit ¥117.000 (rund 16.000€) bestraft. Das Ticket kann auf der offiziellen Webseite des Naturschutzamtes von Suzhou eingesehen werden. Das Unternehmen wurde zwischen 2014 und 2018 bereits 4 mal für Grundwasserverschmutzungen bestraft.
Eine lächerliche Strafe, wenn bedacht wird, dass das Unternehmen bereits im Jahre 2014 – dem ersten Jahr in der Partnerschaft mit Xiaomi – einen Umsatz von rund 140 Millionen Euro vorweisen konnte.
Die Umweltaktivisten haben festgestellt, dass die Verstöße, selbst nach der jüngsten Strafe, nicht behoben wurden. Ein direkter Ablauf in den nahegelegenen Fluss wurde vorgefunden.
Das Abwasser, welches in den Fluss geleitet wurde, besitzt einen stark sauren pH-Wert von 2,64. Normalwerte liegen zwischen laut chinesischen Umweltschutzgesetzen zwischen sechs und neun. Schlimmer noch ist die Belastung durch Kupfer im Abwasser. Die Richtwerte von rund 300µg pro Liter wurden um das 200-fache überschritten.
Nicht, dass es ungewöhnlich ist, dass Richtwerte in China, wo Luft- und Wasserverschmutzungen sowieso ein großes Problem sind, überschritten werden. Allerdings bedenklich ist, dass eine aufstrebende internationale Marke mit großem Erfolg, dies zulässt.
Weitere vermutliche Xiaomi Partner, die negativ aufgefallen sind und ihre Probleme bisher nicht beheben konnten sind unter Anderen (Quellen im Originalbericht):
- Shenzhen Super Optoelectronics (深超光电(深圳)有限公司) – Display Panels
- 2015: Ungereinigte Abgase
- 2017: pH-Werte überschritten, Abgase
- Tongda Group (通达集团) – Gehäusehersteller
- 2016: Abgasnormen mehrfach überschritten
- Changying Precision (长盈精密) – Keramikrückseite & Gehäuse
- 2015: Abgasnormen und Phoasphatwerte (bis 6x) überschritten
- 2016: Starke Wasserverschmutzung, Produktion (und Emmissionen) ohne Erlaubnis massiv erhöht, Regierungs-Umweltschutzwarnung: Gelb
- Wing Thai Group (闻泰集团) – Xiaomi ODM Hersteller
- 2016: Produktion (und Emmissionen) ohne Erlaubnis in 2 Fabriken erhöht
Natürlich wurden diese Probleme nicht in Xiaomis Applikation für den Börsengang in Hong Kong erwähnt. Appendix 27, welcher sich primär mit der offenen Berichterstattung zum Thema Umwelt und Soziales beschäftigt, wurde im offiziellen Dokument wie folgt angegangen:
[bs-quote quote=“Da wir (Xiaomi) Dritte für die Herstellung, Montage und Transport beauftragen und lediglich wichtige Warenhäuser betreiben, entstehen keine Umwelt-, Sicherheits- oder Gesundheitsrisiken.“ style=“style-21″ align=“center“][/bs-quote]
Bis heute hat es Xiaomi, obwohl der Bericht der NGOs bereits seit einer Woche fleißig in WeChat geteilt wird, nicht geschafft ein offizielles Statement abzugeben.
Ob der Hashtag (#和米粉一起维护蓝天#, Zusammen mit Xiaomi den blauen Himmel erhalten), den die Marke im ersten und einzigen Statement auf Weibo genutzt hat, wirklich gerechtfertigt ist?
Insgesamt blieben in den letzten 4 Jahren allerdings über 20 Versuche unerhört. Xiaomi ist somit (noch) nicht daran interessiert das Problem Umwelt und Nachhaltigkeit anzugehen bzw. besitzt intern anscheinend keine Abteilung, die sich dieser Thematik annimmt.
Investitionsrisiken und Forderungen
Zu guter Letzt fragen die Aktivisten, ob es nicht ein Risiko darstellt, in ein Unternehmen zu investieren, dass diese Probleme nicht ernst nimmt. Wahrscheinlich liegen die NGOs gar nicht so falsch, denn schon im vergangenen Jahr wurden bereits zehntausende Fabriken in China geschlossen, da diese die Umwelt regelrecht verpesteten.
Auch sonst werden die Anforderungen der Regierung, oft übersehene Umweltschutznormen einzuhalten, immer strenger. Die Probleme können nicht über Nacht verschwinden, aber international ambitionierte Marken wie Xiaomi, so die Umweltschützer, müssen Pioniere in diesem Gebiet werden.
Gleichzeitig wird so deutlich, dass Xiaomis Partner, trotz mehrerer Vergehen, zu den fortschrittlicheren Produzenten gehören – eine traurige Aussicht oder eine weit tiefer greifende Misere?
Forderungen der Umweltschützer
Natürlich darf, wie bei jeder Geschichte, die Moral am Ende nicht fehlen. Obgleich es hier sicher nicht zu einem Happy End kommen wird, so folgt ein Appell an Xiaomi, Partner, Kunden, Investoren und natürlich die Börse in Hong Kong.
Insgesamt geht es um Transparenz zwischen Unternehmen, die Regeln gerne für Gewinnmaximierungen biegen, und Kunden, die aufgrund mangelnder Informationen keine differenzierten Kaufentscheidungen treffen können.
- Xiaomi soll öffentlich auf Probleme hinweisen und Lösungen vorantreiben
- Produzenten sollen sich an Gesetze halten und Probleme nach einer Strafe lösen
- Die Börse muss Investoren schützen und Xiaomis Umweltschutzprobleme erneut prüfen
- Investoren sollen langfristig denken und Firmen kritisch überprüfen
- Konsumenten sollen Firmen unterstützen, die sich an die Regeln halten
Klingt alles sehr einleuchtend und selbstverständlich, oder? Leider ist dies im gigantischen und modernen Konstrukt China nicht so einfach. Zu diesem Thema vielleicht ein anderes Mal.
Ist der Börsengang in Hong Kong gefährdet?
Natürlich nicht! Ein paar Umweltschützer (Die übrigens großartige Arbeit geleistet haben, denn in China ist ein solches Unterfangen gar nicht so einfach. Danke!) werden ein Unternehmen, dass vor einer Bewertung von 100.000.000.000$ (Einhundertmilliarden) steht, nicht von ihren Plänen abhalten können.
Allerdings ist dies ein guter Zeitpunkt, um die rosarote Xiaomi-Brille abzunehmen und (endlich!) etwas kritischer gen China zu blicken, wenn Produkte vorgestellt werden.
Gerade zu einem Zeitpunkt, an dem Xiaomi angeblich bereits an vierter Stelle in Europa steht. Günstige Preise hin oder her, in einem immer monotonerem Smartphone-Markt sollten Kaufentscheidungen vielleicht auf Basis anderer Kriterien als krasse Megahertz Zahlen und fette RAM-Riegel getroffen werden.
Wird sich deine Meinung zu Xiaomi ändern oder hat sowieso jeder deiner Meinung nach irgendwo ein paar Leichen vergraben?
Leider ist das gängige Praxis in China. Das Grundwasser ist in vielen Gegenden verseucht, weil sicher niemand um die Umwelt schert. Allgemein ist mangelndes Umweltbewusstsein leider ein großes Problem in China. Die Umweltregulierungen werden durch Schmutzgeldzahlungen umgangen und dann pumpen die das doch in den nächsten Fluss. Es wäre natürlich schön wenn eine Firma wie Xiaomi ihre Zulieferer diesbezüglich prüfen würde, allerdings muss dann auch ein generelles Umdenken erfordern. Solange die entscheidenden Leute korrupt sind wird sich nichts ändern, so traurig das auch ist.
Würde einige Punkte leicht ändern, aber insgesamt ziemlich passende Zusammenfassung. Die Regulierungen sind verdammt hart geworden und tausende Fabriken wurden bereits geschlossen. Dennoch reicht oft ein „Hongbao“ und genug „Guanxi“ mit der Lokalregierung, um solche Probleme zu entgehen.
Sehe auch, dass das Problem im Kern stattfindet, denn Umweltverschmutzung ist weit davon entfernt, ein wirkliche Thema zu sein. Lediglich über die Luft wird sich (gerechtfertigterweise) regelmäßig beschwert. Der Jangtse ist anscheinend 10.000 schlimmer belastet als z.B. der Rhein – so spart man Geld und wächst schnell. Eines Tages holt es die Chinesen hoffentlich auf und man kommt zur Vernunft.